Ausgabe vom 14.02.2002


Mit dem Heiraten wurde zugewartet

Höfe: Demografische Untersuchungen geben Aufschluss über das Leben in früheren Zeiten

Der Historiker Urspeter Schelbert hat die Bevölkerungsentwicklung in ihrer Gesamtheit in den Gemeinden Freienbach, Wollerau und Feusisberg untersucht. Das hat zu interessanten Aufschlüssen über frühere Zeiten geführt. 

Den Begriff «Demografie» (Bevölkerungswissenschaft) bringt man heute üblicherweise mit Sozialpolitik in Verbindung, und man denkt dabei sogleich an das Problem der Überalterung. Der Historiker Urspeter Schelbert vom Staatsarchiv Zug betreibt hingegen demografische Forschungen mit ihrer ursprünglichen Zielsetzung, nämlich als Unterstützung der Geschichtswissenschaft. Wie er dabei vorgeht, berichtete er in seinem gut besuchten Referat vor der Vereinigung für Familienkunde in St. Gallen. 

Hervorragende Quellenlage 
Als Absolvent von Studien in Geschichte und Volkskunde untersuchte Urspeter Schelbert die Bevölkerungsentwicklung in ihrer Gesamtheit und in einem umgrenzten geografischen Raum, nämlich in den Gemeinden Freienbach, Wollerau und Feusisberg. In diesen drei Pfarreien ist die Quellenlage für das 17. und das frühe 19. Jahrhundert ungewöhnlich gut, ja für Freienbach sogar «picobello», so der Referent, wurden doch die Pfarrbücher von geschulten Einsiedler Mönchen geführt. Zahl, Alter, Geschlecht, Ehe, Fruchtbarkeit, Geburten, Lebenserwartungen, Sterbefälle, Wanderungen - all dies hat er aus den uralten Quellen ausgezogen und zunächst auf vielen tausend Karteikarten festgehalten. 

Volkszählungen simuliert 
Mit Hilfe eines Rechners in einer Basler chemischen Fabrik (der Rechner der Universität hätte seinerzeit zu wenig Kapazität gehabt) erstellte er Familienblätter, welche letztlich 14000 Einzelpersonen umfassten. Von den 10800 Geburten konnten nur gerade 4% keiner der erfassten Familien zugeordnet werden, von den 7800 Sterbefällen lediglich 6%. Mit all diesen Daten vermochte der Computer Volkszählungen zu simulieren, die einen Realitätsgrad von 85 bis 90% erreichten - also wie eine moderne Volkszählung! 

Kaum Eheschliessung in Fastenzeit 
Kurvendiagramme. von 1642 bis 1810 machten zum Beispiel deutlich, dass während der Fastenzeit und der Adventszeit kaum je Ehen geschlossen wurden oder dass die Zahl der Sterbefälle im März jeweils am höchsten, im Sommer am geringsten war. Der Durchschnitt der Erstheiraten von 1650 bis 1789 lag bei den Frauen um 25, bei den Männern um 29 Jahre, was die verbreitete Meinung widerlegt, dass man einstmals viel früher als heute geheiratet habe. 

Kurze Lebenserwartung 
Für einen neu geborenen Knaben konnte man um 1790 mit einer Lebenserwartung von 33½ Jahren rechnen, wofür natürlich die grosse Kinder- und Jugendsterblichkeit verantwortlich war. Hatte ein Mann aber einmal das 60. Altersjahr erreicht, durfte er damit rechnen, noch 12 Jahre das Leben geniessen; selbstverständlich sind das reine Durchschnittszahlen. Eine so genannte Alterspyramide zeigte deutliche Einbrüche, wie etwa bei der Ruhrepidemie 1740. Aber es gab durchaus auch über 80-jährige Leute. Die beschleunigte Bevölkerungszunahme Ende des 18. Jahrhunderts kann zum Teil auf die immer kürzer werdende Erholungsphase der Mütter zwischen zwei Geburten zurückgeführt werden. 

Nach dem Referat wurde die Möglichkeit zu Fragestellungen rege genutzt, bilden doch Demografie wie Genealogie (Familienforschung) Geschichts-Hilfswissenschaften, deren Bedeutung nicht genug geschätzt werden kann. (kb)

Vereinigung für Familienkunde Sankt Gallen und Appenzell

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