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Geschichte der Schweiz

Deutsch / English

Alles, was Sie schon immer über Schweizer Geschichte wissen wollten, aber sich nicht zu fragen getrauten
zusammengetragen von K. Augustiny


Inhalt:

Die "unvermeidlichen" Jahreszahlen
  1. Die Zeit vor den Römern
  2. Die römische Zeit
  3. Der Weg zur Viersprachigkeit
  4. Die mittelalterliche Feudalgesellschaft
  5. Die Gründung der Eidgenossenschaft
  6. Freiheitserwachen!
  7. Die Erweiterung der Eidgenossenschaft
  8. Die Reformation in der Schweiz
  9. Das Ancien Régime
  10. Das 18. Jahrhundert - Die Industrialisierung
  11. Der Zusammenbruch der Alten Eidgenossenschaft
  12. Demokratisierung und Neue Verfassung von 1874
  13. Industrieller Wandel im 19. Jahrhundert
  14. Erster Weltkrieg: Zeit der inneren Konfrontation
  15. Zweiter Weltkrieg: Neutrale Insel im faschistischen Europa
  16. Ein kurzer Blick auf die Schweiz nach dem Krieg
Quellen / Links

Zeittafel

-58 v. Chr.  Kelten vom Stamm der Helvetier besiedeln das Mittelland.
58 v.Chr.-400 Römische Zeit.
5. Jh.  Germanen (Burgunder und Alemannen) leben in der Schweiz
6. Jh.  Die Schweiz ist Teil des fränkischen Königreiches.
bis 14. Jh.  Niedergang der kaiserlichen Macht. Die Habsburger und 
        das Haus Savoyen behrrschen weite Teil der Schweiz.
1291    Die Waldstätte Uri, Schwyz und Unterwalden gründen 
        einen Bund.
14. Jh. Weitere Orte treten dem Bündnis bei: Luzern 1332, 
        Zürich 1351, Glarus und Zug 1352, Bern 1353. 
1460    Gründung der ersten Schweizer Universität in Basel.
1481    Die Städte Freiburg und Solothurn treten der Eidgenossenschaft bei.
1499    Die Schweiz wird vom Heiligen Römischen Reich unabhängig. 
        Territoriale Erweiterung. Basel und Schaffhausen treten 1501 dem 
        Bündnis der Eidgenossen bei. Appenzell 1513.
1515    Die Schweiz zieht sich von ihrer expansiven Politik zurück und 
        erklärt ihre Neutralität. 
1519    Die Reformation beginnt in Zürich. 
        Die Innerschweiz bleibt katholisch.
1648    Die Schweiz wird als neutraler Staat im Westfälischen 
        Frieden anerkannt. 
1798    Die Franzosen erobern die Schweiz. Die Alte Eidgenossenschaft geht unter.
1803    Neue Kantone werden aus ehemaligen Untertanengebieten gebildet und 
        treten der Helvetischen Republik bei: Sankt Gallen, Graubünden, 
        Thurgau, Tessin, Aargau und Waadt.
1815    Der Wiener Kongress stellt die Schweiz als Staatenbund wieder her 
        und garantiert Unabhängigkeit und immerwährende Neutralität.
        Die Kantone Genf, Wallis und Neuenburg treten dem Bündnis bei.
1847    Sonderbundskrieg. Die reformierten Orte unter General Dufour besiegen 
        die katholischen Orte, die eine separatistische Liga gegründet hatten.
1848    Neue Bundesverfassung. Ein Kompromiss zwischen Zentralgewalt und kantonaler
        Selbständigkeit. Industrialisierung des Landes, Eisenbahnbau, 
        Entwicklung des Tourismus.
1864    Gründung des  Internationales Komitees vom Roten Kreuz in Genf (IKRK). 
        Einführung der allgemeinen Schulpflicht.
1872-82 Bau der den Alpenkamm mit einem einzigen Tunnel querenden "Gotthardbahn".
1914-18 und 1939-45  Die Neutralität schützt das Land vor Kriegsereignissen
1971    Die Schweizer Männer stimmen dem Frauenstimmrecht zu.
1979    Ein neuer Kanton "Jura" entsteht.
1992    Die Schweizer lehnen die Mitarbeit der Schweiz im Europäischen 
        Wirtschaftsraum ab.

Umfangreichere Tabelle (Englisch)


Dieser Text wird durch 3 Karten illustriert:
1) Die Sprachen in der Schweiz.
Verbreitung der 4 Landessprachen in der Schweiz
(vgl. dazu Kapitel 3 Der Weg zur Viersprachigkeit).
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2) Die Eidgenossenschaft 1536 - 1798 (vgl. dazu die Kapitel 7 bis 11).
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3) Die Schweiz und ihre Kantone 1995 (vgl. dazu Kapitel 11 bis 16).
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Die Karten 1 und 3 wurden aus D. Fahrni (1994) kopiert. Karte 2 stammt aus Putzgers Historischem Atlas (1961) und wurde uns freundlicherweise zur Veröffentlichung an diesem Ort vom Cornelsen Verlag Berlin freigegeben.

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1. Die vorrömische Zeit
Jäger, Sammler, Pfahlbauer, aber weit und breit kein Wilhelm Tell!

Die frühesten menschlichen Spuren in der Schweiz gehen auf die Altsteinzeit zurück. In der Höhle von Cotencher im Kanton Neuenburg (Neuchâtel) wurden Schneidwerkzeuge aus Stein gefunden, die wohl dem Neandertaler (20'000 bis 4'000 v. Chr.) gehört haben. Zudem finden sich aus der jüngeren Steinzeit (bis ca. 3'000 v. Chr.) Zeugnisse der nun sesshaften bäuerlichen Bevölkerung an vielen Orten in der Schweiz.

Während der Bronzezeit (ca. 3'000-1'000 v. Chr.) und der frühen Eisenzeit (ab ca. 1'000 v. Chr.) wurden Wege über die Alpen begangen und langsam entwickelte sich ein früher Handel. In der folgenden La-Tène-Zeit kamen erste Münzen in Umlauf (ca. 800 v. Chr.). Die Fundstelle bei La Tène, nordöstlich von Neuenburg hat der ganzen zweiten Periode der Eisenzeit ihren Namen gegeben. Im ersten Jahrhundert v. Chr. verlässt der keltische Stamm der Helvetier seine Siedlungsplätze in Süddeutschland und siedelt sich neu im Schweizer Mittelland an. Die Helvetier zogen auch noch weiter nach Westen, bis sie auf die Römer stiessen. Von Cäsars Armeen wurden sie dann 58 v. Chr. in das schweizerische Mittelland zurückgedrängt (nachzulesen bei Astérix ;-) ).

2. Die römische Zeit 58 v. Chr. bis 400 n. Chr.
Caesar et consortes Wilhelmus Tellus non cumerat!

Die keltische Bevölkerung nahm schnell römische Kultur und Lebensart an und durchlebte in den beiden ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung eine friedliche und materiell gesicherte Zeit. Ein vorzügliches Strassennetz, dessen Überreste sich heute überall in der Schweiz finden, führte über den Grossen Sankt Bernhard Pass im Westen und über die Bündner Pässe (Julier, Splügen, Oberalp) im Osten nach Rom, dem Mittelpunkt der damaligen Welt. Ein lebhafter Handel mit Rom blühte auf. Städte entstanden: Augusta Raurica (Augst, bei Basel) und das prächtige Aventicum (Avenches, halbwegs zwischen Bern und Lausanne) als Hauptstadt der römischen Schweiz. Seine noch heute sichtbaren Stadtmauern konnten 50'000 Einwohnern Schutz bieten. Heute lebt ein Bruchteil dieser Zahl in Avenches!

3. Der Weg zur Viersprachigkeit
Immer derselbe Name: Wilhelm, Guillaume, Guglielmo, Guglielm!

Die Friedenszeit endete mit dem Einfall germanischer Stämme ins Römische Reich. 260 n. Chr. überwanden erstmals Alemannen den Limes, die befestigte Nordgrenze des römischen Imperiums, und zogen südwärts. Nur für eine kurze Zeit konnten die Römer ihre Grenze längs des Rheins und der Donau noch halten. Helvetien und Rhätien verarmten zu Grenzprovinzen unter Militärhoheit. Um 400 musste Rom seine jenseits der Alpen liegenden Gebiete räumen. Während der Völkerwanderungszeit fiel der westliche Teil des Imperiums an die germanischen Eroberer, die vorher regen Handelsbeziehungen zum Mittelmeerraum kamen zum Erliegen. Burgunder, die bereits das Christentum angenommen hatten, siedelten im westlichen Teil der Schweiz und übernahmen dessen Sprache, das Latein. Ähnliches geschah mit den lombardischen (Langobarden) Stämmen, die sich in der südlichen Schweiz niederliessen und die bestehende Kultur kaum beeinflussten. Die grösste Zahl der Neueinwanderer aber stellten die heidnischen Alemannen zwischen Rhein und Aare dar. Ihnen gelang es aber nicht, in Rhätien, dem späteren Graubünden einzudringen. Die dort ansässigen römischen Rhätier leisteten Widerstand nachdem sie selbst sich über grosse Teile der Ostschweiz, Südtirols, Vorarlbergs und Friauls ausgebreitet hatten. Später, im Mittelalter, zogen sie sich in die Hochtäler der bündnerischen Alpen zurück und lebten dort relativ unbehelligt. Ohne diese Überlebenstaktik wären die Rhätoromanischen Dialekte von den sie umgebenden grösseren Sprachgruppen zum Verschwinden gebracht worden.

Somit war der Grundstein für die heutige Viersprachigkeit der Schweiz gelegt: Im römisch-burgundischen Teil (heute Romandie genannt!) entwickelte sich aus dem Vulgärlatein ein Franko-Provenzalischer Dialekt. Das von den Alemannen gehaltene Land wurde bis 900 n. Chr. vollständig deutschsprachig (Althochdeutsch, ab 8. Jh. Oberdeutsch). Die Stämme in den Tälern südlich der Alpen hielten an ihren Gallo-Italienischen lombardischen Dialekten fest, während sich das Rhätoromanisch mit seinen verschiedenen Dialekten in Graubünden bewahrte.

Die Franken besiegten im 6. Jahrhundert sowohl die Alemannen als auch die Burgunder. Die beiden Teile wurden aber wieder getrennt bei der Teilung des Reichs von Karl dem Grossen im Jahre 870. Zwischen dem 9. und dem 14. Jh. wurden unzählige Schlösser, Burgen, Klöster und befestigte Städte errichtet. Einige typische Beispiele haben die Zeiten überlebt: Die karolingischen Fresken in der Klosterkirche von Müstair (Münster, GR); aus dem 10. Jh. die cluniazensischen Abteien von Romainmôtier und Payerne, das Zürcher Grossmünster und die Kathedralen von Basel und Schaffhausen als Muster romanischer Baukunst in der Schweiz.

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4. Die mittelalterliche Feudalherrschaft
Städte und Städtebünde und kein Ritter Willibald!

Im Mittelalter wurde das Gebiet der Schweiz mit der Einverleibung Burgunds (1032) Teil des Heiligen Römischen Reiches. Der Niedergang der kaiserlichen Macht erlaubte es aber verschiedenen Herrscherhäusern, wie den Zähringern, den Grafen von Savoyen, den Kyburgern und den Habsburgern, grössere Gebiete an sich zu ziehen und bis zum 13. Jh. als Landesherren aufzutreten. Inzwischen hatten, wie im übrigen Deutschland auch, die Städte Bern und Zürich den Status Freier Reichsstädte erhalten und von der geographischen Distanz zum fernen Herrn, dem Kaiser, profitiert. Die kleinen, abgelegenen Talschaften in den Alpen waren seit jeher selbständig und frei. Auf diese Weise konnten die sogenannten "Waldstätte" um den Vierwaldstättersee ohne Schwierigkeit einen symbolischen Eid der Untertanentreue auf ihren Herrn leisten. Die schon vorher bestehende direkte Reichsfreiheit von Uri wurde formell bereits 1231 vom Kaiser bestätigt, weil dieses strategisch wichtige Gebiet am Zugang zur St. Gotthardroute liegt.

5. Die Gründung der Eidgenossenschaft
Wilhelm Tell ist nah!

Diese relative Unabhängigkeit schien in Gefahr, als das Haus Habsburg begann, in seinen Gebieten zur Wahrung seiner Einkünfte und Rechte, auswärtige Verwalter, "Vögte", einzusetzen, ohne auf lokale Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen. Es kam zu Unruhen in den habsburgischen Gebieten. Die Lage spitzte sich noch weiter zu, als der Habsburger Rudolf IV. 1273 zum deutschen König gewählt wurde. Weil er aber in Auseinandersetzungen im fernen Böhmen verwickelt war, kehrte in den 70er Jahren Ruhe in den Waldstätten ein. Erst mit dem Tod Rudolfs 1291 wurde die politische Lage wieder bedrohlich, da die Wahl des deutschen König umstritten war. Vertreter der drei Waldstätte Uri, Schwyz und Unterwalden schlossen ein Bündnis, das "so Gott will, auf ewig Bestand haben soll". Dieser Beistandspakt zielte nicht auf Ungehorsam den eigenen Herren gegenüber ab, sondern auf die von aussen aufgezwungene Verwaltung und deren Richter. Er wird als eigentlicher "Geburtsschein" der Eidgenossenschaft angesehen. Aufbewahrt wird das "Anfang August 1291" datierte Dokument im Bundesbriefarchiv in Schwyz und der 1. August wird heute als Schweizer Nationalfeiertag begangen.

6. Freiheitserwachen!
Meine Damen und Herren, er ist da: Wilhelm Tell!

Diese Entwicklung allein wäre in der feudalen Gesellschaft der damaligen Zeit höchstens mit Überraschung zur Kenntnis genommen worden. Ihre Glorifizierung zum Freiheitskampf erfuhr sie erst durch spätere Chroniken und durch literarische Überarbeitungen. Die bekannteste ist Schillers Tell-Drama von 1804, die zum Allgemeingut deutscher Literatur gehört. Nach ihr haben 33 Vertreter der Waldstätte ihren Eid geschworen, den tyrannischen Landvogt Gessler bekämpft und durch den Apfelschuss Tells und die spätere Ermordung Gesslers in der Hohlen Gasse bei Küssnacht am Rigi, den Weg frei gemacht zu einem neuen Zeitalter der Freiheit des Einzelnen.

7. Zurück in die Realität: Die Erweiterung der Eidgenossenschaft.

1332 verbündete sich das bisher habsburgische Luzern mit den Waldstätten, um sich von seinen Stadtherren zu befreien. Es folgten ihm Glarus und Zug 1352. Zürich hatte eine von den Zünften angeführte Revolution hinter sich und befürchtete eine Rückkehr der Adligen. Es schloss sich 1351 den Waldstätten an. Bern kam 1353 hinzu und hielt sich so den Rücken frei für sein Bündnissystem im Westen der Schweiz. Die Eidgenossen errangen einige glänzende Siege über die Habsburger und deren adlige Verbündete, so bei Sempach 1386 und Näfels 1388. Dies zu einer Zeit da der Schwäbische Städtebund in Süddeutschland unterlag.
Das Bündnis der "Acht alten Orte", das in Wirklichkeit ein Konglomerat von Verträgen zwischen den verschiedenen Partnern war, manchmal von nur drei, vier oder fünf Orten, blieb sehr locker. Es führte aber dennoch dazu, dass sich am Ende des 14. Jahrhunderts ein selbständiges staatliches Gebilde innerhalb des Römischen Reiches abzeichnete. Einzigartig für diese Zeit war, dass sich nach der Vertreibung der Habsburger und der Schwächung des einheimischen Adels eine Bürgergesellschaft bildete. Macht und Boden gingen von den Adligen an Städte und Zünfte und an die bäuerlichen Landorte über.

Von ihren miltärischen Erfolgen angespornt strebten die eidgenössischen Orte nach territorialer Expansion. Die Siege der eidgenössischen Fussheere über Karl den Kühnen von Burgund bei Grandson, Murten und Nancy (1474-77) trugen zum Ruhm eidgenössischer Waffenkunst nur bei. Freiburg, Solothurn, Basel, Schaffhausen und Appenzell erweiterten die Acht-Örtige Eidgenossenschaft zu einer Dreizehn-Örtigen. Nach dem Schwabenkrieg 1499 gegen Kaiser Maximilian I. von Österreich erlangte die Eidgenossenschaft ihre Unabhängigkeit vom Römischen Reich.

1513 waren die Eidgenossen auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Sie waren sogar Schutzherren des Herzogtums Mailand. In der Schlacht von Marignano 1515 unterlagen sie aber einer Übermacht französischer und venezianischer Truppen. Diese Niederlage führte dazu, dass sich die Eidgenossen von den internationalen Schauplätzen zurückzogen, ihre Expansionspolitik einstellten und ihre Neutralität erklärten. Nichtsdestotrotz dienten aber Schweizer Söldner noch während der nächsten Jahrhunderte in fremden Armeen, oft sogar auf beiden Seiten der Kriegführenden! Als Relikt aus dieser Zeit verfügt der Vatikan heute noch über eine Schweizer Garde! Erst nach 1709, als im Spanischen Erbfolgekrieg grosse Schweizer Regimenter gegeneinander kämpften, nahm das Söldnerwesen ab!

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8. Die Reformation in der Schweiz
Die Reformatoren Zwingli, Calvin, Farel.

In der Schweiz wurde die Reformation vorallem von Zürich aus durchgeführt. Huldrich Zwingli (1484-1531) war am dortigen Grossmünster als sogenannter "Leutpriester" tätig. 1525 nahm der Zürcher Grosse Rat Zwinglis Forderungen einer Kirchenreform und nach politischen und wirtschaftlichen Veränderungen (Säkularisation der Klöster, Reform von Zins- und Bodenrecht etc.) an. Durch die Reformation wurden die bürgerlichen, städtischen Zünfte vorallem gestärkt. Die ländliche Wiedertäuferbewegung (ab 1535 auch die Mennoniten), die darüber hinaus neben der Leibeigenschaft auch noch Zins- und Zehntverpflichtungen aufheben wollte, wurde daher grausam verfolgt und die ländlichen Gebiete unter strenge Vorherrschaft der Städte gebracht.

In den Untertanengebieten wurden die aufbrechenden Bauernunruhen niedergeschlagen. Die Reformation breitete sich rasch aus. In den meisten Fällen standen die städtischen Zünfte als treibende Kraft hinter dem neuen Glauben. Nur dort, wo sie keine eigentliche Macht darstellten, wie in Luzern, Zug, Solothurn und Freiburg, unterblieb die Reformation. Der grösste Widerstand erwuchs dem neuen Glauben in der Zentralschweiz und diese Kantone blieben katholisch. 1528 entschloss sich auch die mächtige Stadt Bern zum Übertritt ins reformierte Lager. Von da an wurde die Reformation mit Waffengewalt auch in der Westschweiz durchgesetzt. 1536 nahm der Reformator Jean Calvin (1509-1564) in Genf Wohnsitz und zur gleichen Zeit brachte Bern die savoyischen Gebiete der Westschweiz unter seine Kontrolle.

Die Reformation spaltete die Schweiz in zwei Lager. Einerseits fanden sich die katholischen Kantone mit einem Drittel der Bevölkerung; auf der anderen Seite standen die Städte mit ihrem Burgrecht und den wirtschaftlichen Zentren im Lande. Sie machten zwei Drittel der Bevölkerung aus. Die Gegensätze zwischen der vorwiegend reformierten Schweiz und seinen katholischen Nachbarn in Deutschland führte über die Jahre zum Verlust des Zusammengehörigkeitsgefühls und schliesslich zum Bruch zwischen der Eidgenossenschaft und dem Reich. De iure wurde diese Trennung im Westfälischen Frieden von 1648 festgeschrieben.

9. Das Ancien Régime
Erstarrung in einem patrizischen Regime im 17. und 18. Jh.

Die Schweiz wurde vom Dreissigjährigen Krieg (1618-1648) und von den folgenden Kriegen der absolutistischen Herrscher Europas verschont. Das politische Leben in den acht städtischen und den fünf ländlichen Kantonen der Alten Eidgenossenschaft erstarrte aber je länger je mehr. Die Regierungsgewalt wurde von immer weniger Familien ausgeübt. In den Kantonen, die bis anhin durch die Landsgemeinde geführt wurden, versuchten die Behörden, die Volksrechte einzuschränken. Sie konnten zwar die Landsgemeinde nicht abschaffen, besetzten aber immerhin die Mehrzahl der Ämter mit Familienangehörigen. Der Brauch der Volksbefragung, der während der Reformation überaus häufig war, verschwand gänzlich im 17. Jh. Bauernunruhen wurden 1653 niedergeschlagen. Auch religiöse Zwistigkeiten wurden in der damaligen Schweiz noch ausgefochten (Villmerger Kriege von 1656 und 1712) und führten jeweils zu Neuordnungen in den gemeinsam verwalteten Untertanengebieten. In dieser Zeit wurden die katholischen Orte zudem in ein gefährliches Abhängigkeitsverhältnis zu Frankreich gezogen. Immerhin konnten die Eidgenossen sich auf ein Schlichtungsverfahren einigen, auch wenn die Glaubensgegensätze damit nicht aus dem Weg geräumt waren.

10. Das 18. Jahrhundert - Die Industrialisierung

Die politischen Verhältnisse änderten sich bis 1798 kaum. Ein reaktionärer Kastengeist herrschte in den Kantonen vor. Im sozialen und wirtschaftlichen Bereich hingegen kam es zu tiefgreifenden Umwälzungen: Die Bevölkerung wuchs zwischen 1700 und 1800 von 1.2 auf 1.6 Millionen Einwohner. Zuwachsraum waren vorallem die ländlichen Gebiete. In den nördlichen und östlichen Teilen der Schweiz kam vorallem die Textilverarbeitung in Schwung: Das Spinnen, Weben und Bedrucken von Baumwollstoffen, die Seidenstoffweberei und -stickerei verschaffte vorallem den arbeitslos gewordenen Taglöhnern und Kleinbauern neuen Verdienst. Im Jura entwickelte sich eine Uhrenindustrie, die vorallem von Heimwerkern betrieben wurde. Die Schweiz entwickelte sich im 18. Jahrhundert zu einem Industriestaat und war nach England das meist industrialisierte Land Europas. Auch die Wissenschaften waren im Umbruch: Wissenschaftler wie Johann Bernoulli (1667-1748), Leonhard Euler (1707-1783) und Albrecht von Haller (1708-1777) trugen das Ihre zum geistigen Aufschwung bei. Erziehungsexperimente und Schriften von Johann Heinrich Pestalozzi (1745-1827) machten ihn weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

11. Der Zusammenbruch der Alten Eidgenossenschaft
Der lange Weg zum neuen Bundesstaat

Die Eidgenossenschaft blieb im ersten Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich neutral. Nachdem aber Napoleon Frankreichs Vorherrschaft in Norditalien errichtet hatte, nahm der militärische Druck auf die Schweiz zu. Die Alpenpässe waren für die französischen Armeen von strategischer Bedeutung, da sie den direkten Zugang von Paris nach Mailand bilden. Französische Revolutionstruppen besetzen das bernische Waadtland am 28. Januar 1798. Die eidgenössische Tagsatzung war sich nicht einig über eine geschlossenen Haltung gegenüber dieser Invasion. Der Stadtstaat Bern musste allein den Invasoren Widerstand entgegensetzen. Am 5. März 1798 wurden die bernischen Truppen nördlich der Stadt beim Grauholz besiegt und die französischen Armeen rückten in die Stadt Bern ein.

Ein langer und mühsamer Weg führte von da an zur Gründung des Bundesstaates von 1848. Die Ereignisse von 1798 führten in eine 50-jährige Krise, während der konservative und progressive Kräfte wiederholt zur Waffengewalt griffen, um die anstehenden Gegensätze zu lösen.
Die Dreizehn Alten Orte wurden durch sechs neue Kantone ergänzt, die vordem als Untertanengebiete oder Gemeine Herrschaften (gemeinsam verwaltete Untertanengebiete) bestanden hatten: Aargau, Thurgau, Tessin und Waadt. Hinzu kamen als neue Kantone auch die früher nur alliierten Orte ("Zugewandte") Sankt Gallen und Graubünden. Nach der Niederlage Napoleon beschloss der Winer Kongress 1815, den Staatenbund souveräner Kantone wiederherzustellen. Drei neue Kantone, Genf, Wallis und das preussische Neuenburg wurden hinzugefügt. Der Kongress beschloss zudem, den Jura, den früheren reichsfreien Staat des Fürstbischofs von Basel, dem Kanton Bern zuzuschlagen als Kompensation der Gebietsverluste Berns im Westen, der Waadt, und im Aargau.
Die Julirevolution von 1830 in Paris brachte auch der Schweiz eine grundlegende Veränderung. Eine liberale Bewegung begann sich zu entwickeln und die aristokratischen Regimes verloren nach und nach ihre Macht. Einzig in den katholischen Innerschweizer Kantonen hielten sich die konservativen Kräfte. Sie bildeten einen militärischen Verteidigungspakt, den Sonderbund. Auf dem Hintergrund einer schweren wirtschaftlichen Krise kam es dann zu einer Auseinandersetzung: Die letzte Hungersnot in der Schweiz von 1845, die wie im übrigen Europa auch, aufgrund von Kartoffelmissernten entstanden war, trieb die Preise in die Höhe und ein starker wirtschaftlicher Rückgang erfasste zugleich die Textilindustrie. Eine kurze militärische Kampagne der reformierten städtischen Kantone zwang 1847 Luzern und die übrigen Sonderbundspartner in die Knie.
Die neue bundesstaatliche Verfassung brachte eine Reihe von Bürgerrechten, wie die freie Wohnsitzwahl, Vereinsfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz. Sie schützte die Rechte der Minderheiten, indem weitreichende Zugeständnisse an die kantonale Soveränität gemacht wurden. Der Bundesstaaat von 1848 stand am Ende einer 18 Jahre dauernden heftigen Auseinandersetzung.
Auch 1850 war die Schweiz nach Grossbritannien das am höchsten industrialisierte Land Europas, wobei aber die Schweizer Industrie eine Kleinbetriebs- und Heimarbeits-Struktur aufwies.

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12. Demokratisierung und Neue Verfassung von 1874

Die Vorherrschaft der Liberalen war lange Zeit nicht zu erschüttern. Die Gegner kamen aus verschiedenen Lagern. Sowohl die katholischen Konservativen als auch die alten aristokratischen Kräfte waren zu schwach. Erst die Opposition von Handwerkern, Bauern, demokratischen Intellektuellen und föderalistischen Konservativen brachte in den 60ger Jahren genügend Druck für einen Wandel zutage. 1869 gewannen die neuen demokratischen Kräfte in Zürich im Kampf um eine neue Verfassung. Die Direktwahl der Regierung durch das Volk und die Zustimmung des Volkes zu den Parlamentsbeschlüssen waren die Folge. Die Erfolge der demokratischen Bewegung auch in den anderen Kantonen machten eine Revision der Verfassung unumgänglich. 1874 wurde eine in grossen Teilen noch heute gültige Staatsverfassung inkraft gesetzt.

13. Industrieller Wandel im 19. Jahrhundert

Der Ausbau der Überseeverbindungen und des Schienennetzes auf dem europäischen Kontinent stürzte die Schweizer Landwirtschaft in den siebziger Jahren des 19. Jh. in eine tiefe Krise. Von 1870 an wurden billige Getreide aus Osteuropa oder Übersee eingeführt. Die Bauern versuchten, mittels landwirtschaftlichen Genossenschaften und gemeinschaftlichen Käsereien, dieser Entwicklung zu begegnen. Anstelle der früheren Getreideexporte wurden nun Milchprodukte (Käse, Kondensmilch, Schokolade) im Ausland verkauft. Die Uhren- und Seidenbandindustrie hatten schon seit jeher ihre Erzeugnisse zu einem Grossteil auch im Ausland abgesetzt. Die lange wirtschafliche Depression, die 1874 begann, führte auch zu einer Umverteilung der Gewichte: Die Textilindustrie verlor ihre vorherrschende Stellung. An ihre Stelle traten die chemische Industrie und der Maschinenbausektor. Obwohl die Schweiz weder über nennenswerte Bodenschätze wie Kohle oder andere Rohstoffe verfügt, entstanden in diesen Sektoren Exportindustrien mit internationaler Bedeutung. Die Chemiefirmen in Basel, die den Anfang mit Teerfarbenchemie machten, und die Maschinenindustrie entwickelten sich zu den bedeutensten Exporteuren vor 1914.

Der Bau der Eisenbahnen war eine wichtige Voraussetzung dieser Entwicklung. Frankreich und Deutschland unterstützten den Bau des 15 Kilometer langen Gotthardtunnnels (Eröffnung 1882). Zwischen 1844 und der Mitte der sechziger Jahre des 19. Jh. entstanden 1300 Kilometer neue Eisenbahnstrecken; Bis 1885 kamen dann nochmals 1400 Kilometer hinzu. Von 1885 bis 1914 wuchs das Netz dann nur noch um 700 Kilometer.

N.B.: Die Schweiz hat ein Fläche von 41'300 qkm. Das entspricht einem Kreis mit dem Radius von 115 km. Die grösste Nord-Süd Ausdehnung beträgt 220.1 km, in West-Ost-Richtung sind es 348.4 km! Klein aber fein!

14. Erster Weltkrieg: Zeit der inneren Konfrontation

Im ersten Weltkrieg war die Schweiz nahe daran, ihre vielgepriesene Neutralität aufzugeben. Die deutschsprachige Schweiz, als wirtschaftliches und bevölkerungsmässiges Übergewicht war pro Deutsches Reich eingestellt, nicht aber die Romandie (französischsprachiger Teil) und der italienischsprechende Anteil des Landes. Nachrichtendienste zugunsten des Reiches und verschiedene Armeeaffären machten die Ausrichtung der Armeeleitung auf einen deutschen Sieg deutlich. Der Bundesrat Hermann Hoffmann versuchte 1917 sogar, einen russisch-deutschen Separatfrieden zu vermitteln und musste nach dem Publikwerden dieses Vorfalls zurücktreten.

Die Schweizer Wirtschaft profitierte vom Ersten Weltkrieg, aber die Gewinne kamen nicht der Arbeiteklasse zugute. Die Mobilisation der Milizarmee beeinflusste die Löhne (nach unten) und die Lebensmittelpreise stiegen in der Kriegszeit um durchschnittlich 130%. Die Behörden zeigten sich in der Folge durch die einsetzende Radikalisierung der Arbeiterschaft verunsichert. Im November 1918 besetzte die Armee unter dem Vorwand, einem Staatsstreich zuvorkommen zu müssen, Zürich. Die allgemeine Empörung darüber führte zu einem landesweiten Generalstreik. Nach drei Tagen und der Drohung, die Armee einzusetzen, brach der Streik zusammen. Aber er war nicht umsonst. Eine Initiative zur Einführung des Proportionalwahlrechts wurde angenommen, die 48-Stundenwoche eingeführt, sowie kollektive Arbeitsverträge abgeschlossen. Zudem wurden Altersvorsorge und Arbeitslosenfürsorge ausgebaut.

1915 wurde ein einheitlicher Schweizer Pass eingeführt (bisher waren Pässe von den Kantonen ausgestellt worden). Dieser erste einheitliche Pass hatte noch einen dunkelgrünen Umschlag. Erst seit 1959 wird der heute wohlbekannte rote Pass ausgegeben.

Die Zwischenkriegszeit war gekennzeichnet von einem schwachen Wirtschaftswachstum und der Verlagerung des Gewichtes von den produktiven in den Dienstleistungssektor.

15. Zweiter Weltkrieg: Neutrale Insel im faschistischen Europa

Im zweiten Weltkrieg geriet die Schweiz weit mehr als im ersten unter ausländischen Druck. Nach der Niederlage Frankreichs 1940 war sie ganz von den Achsenmächten umschlossen. Die Nazis verhehlten ihre Abneigung nicht gegenüber einem Staat, der durch seine kulturelle Vielfalt ihrer völkischen Lehre und ihrer rassistischen Propaganda rein durch seine Existenz widersprach. 1940, als die Gefahr am grössten war, machte sich in der Schweiz auch Anpasserei an die neuen Herren Europas bis in die höchsten politischen Ränge bemerkbar. Eine Zensur versuchte, journalistische Nadelstiche gegen das nazistische Deutschland zu unterbinden, die Asylpolitik wurde auf massiven Druck Deutschlands stark eingeschränkt. Das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg war eine Mischung aus taktischer Anpassung und demonstrativem Selbstverteidigungswillen. Die Totalmobilisation und die Bereitschaft zur Landesverteidigung zwischen 1939 und 1945 haben in der damaligen Kriegsgeneration tiefe, zum Teil glorifizierende Spuren hinterlassen.

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16. Ein kurzer Blick auf die Schweiz nach dem Krieg

Im Bereich der politischen Beziehungen mit dem Ausland verhielt sich die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg so zurückhaltend wie eh und je! Die Schweiz trat nie den Vereinten Nationen bei, spielt aber eine sehr aktive Rolle in den UNO-Unterorganisationen. Genf wurde zum europäischen Sitz der UNO. Auch den Bestrebungen für eine europäische Integration stand die Schweiz ablehnend gegenüber. Als 1949 der Europarat gegründet wurde, war die Schweiz nicht mit dabei. Dagegen bildete sie 1960 mit anderen nicht-EWG-Staaten die Europäische Freihandelszone EFTA, deren Zielsetzung nicht auf eine politische Union hinlief.
1986 lehnten 75.7% der Schweizer Stimmberechtigten einen Beitritt zur UNO ab. Diese Ablehnung lässt sich aber eher als eine diffuse Angst vor Verlust von Selbstbestimmung und einem allgemeinen Malaise, denn als fundierte politische Ablehnung interpretieren. 1992 wurde die Mitarbeit in einem europäischen Wirtschaftsraum EWR knapp abgelehnt. Seit den achtziger Jahren zeigte die Schweiz Tendenzen zur Stimmungsdemokratie, die vorallem von den Massenmedien akzentuiert wird. Dass die Schweizer Bürger in innen- und aussenpolitischen Angelegenheiten das letzte Wort haben, ist zwar eine Eigenheit des Schweizer Demokratieverständnisses, führt aber in aussenpolitischen Angelegenheiten zu Schwerfälligkeit und Komplikationen, in innenpolitischen Auseinandersetzungen zu immer neuen Polarisierungen. Die Schweiz ist heute im Umbruch und sucht ihre Identität neu.


Quellen:

  1. Eine Zusammenfassung der Schweizer Geschichte, die auch viele sozialpolitische Aspekte berücksichtigt, ist das preisgünstige Büchlein von Dieter Fahrni: Schweizer Geschichte - ein historischer Abriß von den Anfängen bis zur Gegenwart. Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Zürich. 6. Auflage 1994. ISBN 3-908102-15-4. Aus diesem Werk wurden ein Grossteil der Gliederung, 2 Karten, sowie weite Teile des hier dargestellten Textes übernommen.

  2. Im HOF Ulrich (1974) Geschichte der Schweiz. Kohlhammer, Stuttgart

  3. SCHAFFER Fritz (1972) Abriss der Schweizer Geschichte. Huber, Frauenfeld

  4. N.N. (1995) Schweizer Brevier 1995 - Kümmerly+Frey, Bern (jährliche Neuauflage).

  5. Ein empfehlenswerter Geschichtsatlas ist mit einer speziellen Schweizer Ausgabe: Putzger - Historischer Atlas zur Welt- und Schweizer Geschichte. 12. Auflage 1994. Cornelsen Verlag, Berlin
Links:

Schweizer Geschichte von Markus Jud, Luzern

Geschichte der Schweiz in der Wikipedia

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