Anmerkungen zur Geschichte der
Stadt St.Gallen
FLAG
Geschichte der Ortsbürgergemeinde [Erforschung der Stadtgeschichte] [Vadianische Sammlung]

Familienforschung auf den Seiten der Ortsbürgergemeinde St.Gallen


Zur Geschichte der Ortsbürgergemeinde St.Gallen

von Stadtarchivar Ernst Ziegler

Das Stadthaus am eidg. Schützenfest 19.-27. Juli 1874. Aquarellierte Bleistiftzeichnung mit aufgemalten Goldleisten (anonym).

Nicht allein Schiesstand und Umgelände draussen vor der Stadt, auch die Häuser und Gassen der Innenstadt werden zum Festplatz. Sie entbieten mit Fassadenverkleidung, Spruchband, Beflaggung und Grünschmuck ihren Willkommgruss den Gästen aus der gesamten Schweiz, die im Sommer 1874 zum Eidgenössischen Schützenfest nach St.Gallen fahren. Der Schweizerische Schützenverein feiert sein fünfzigstes Jahr - zum achzigsten, 1904, wird wiederum St.Gallen einladen. Und bereits eine Generation zuvor, 1838, ist die Stadt erstmals Treffpunkt der eidgenössischen Schützen gewesen. Sie muss jetzt, im Jahr der erneuerten Bundesverfassung, den Veteranen von damals gewaltig verändert erscheinen: mit der Eisenbahn erreichen sie das Ziel, und breitangelegte Strassen mit modernen Bauten geleiten vom Bahnhof zur alten Stadt, die kein Mauerring mehr umschliesst, kein Torturm mehr behütet.

Das beflaggte Grosse oder Hohe Haus steht seit den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts anstelle der alten St.Johann-Kirche südlich des Klosters an der Gallusstrasse 14. Hans Schlumpf-Zollikofer hat den herrschaftlichen Renaissance-Bau errichten lassen. Er diente später dem Kaufmännischen Direktorium als st.gallische Postanstalt und ist seit 1867 Verwaltungssitz der Ortsbürgergemeinde St.Gallen.

Die Stadtrepublik St.Gallen, die von der Kreuzbleiche bis St.Fiden und vom Rosenberg zu Freudenberg und Bernegg reichte, ging in der Helvetischen Revolution von 1798 unter. Damit beginnt die Geschichte der Ortsbürgergemeinde St.Gallen.

Gemäss dem Gesetz "Über die Organisirung der Munizipalitäten" vom 15. Februar 1799 musste für St.Gallen eine Munizipalität (später Gemeinderat) gewählt werden. Zur Besorgung des Gemeindegutes waren eine Verwaltungs- oder Gemeindekammer zu ernennen und Gemeindeverwalter (heute Bürgerräte) zu bestimmen. Dieser 15. Februar wird als der "Geburtstag der Einwohnergemeinde St.Gallen" bezeichnet. Die "Munizipalität" führte anfänglich als Polizeibehörde der Einwohnergemeinde mehr ein formales Dasein; die Verwaltung der Stadt lag in den Händen der Gemeindekammer.

Die Ortsbürgergemeinden gingen aus den Bewohnern eines umschlossenen, befestigten Platzes hervor, im wesentlichen aus dem Stadtbürgerrecht des 11. bis 13. Jahrhunderts, und aus den Frühformen der Genossenschaften, die Anteil an den Allmenden hatten. Heute besitzen die 128 St.Galler Ortsgemeinden knapp ein Viertel der Bodenfläche im Kanton.

Die heutige Genossenschaft der Ortsbürger beruht weitgehend auf der Verwaltung des nach der helvetischen Neuordnung verbliebenen Kollektivvermögens der ehemaligen Stadtrepublik.

Der Kanton St.Gallen 1803

Der 1803 gegründete Kanton St.Gallen übernahm die von der Helvetik geschaffenen Zweiteilung in Politische oder Einwohnergemeinden (Territorialgemeinden) und in Orts- oder Bürgergemeinden (Personalgemeinden), ohne jedoch ihre Kompetenzen genau zu regeln.

Das "Gesetz über die Organisation der Gemeindräthe und der Gemeindsgüterverwaltungen" vom 8. Juni 1803 teilte den Kanton St.Gallen in Bezirke, Kreise und Politische Gemeinden (mit Gemeinderat) sowie Ortsgemeinden (Gemeindsgenossenschaft mit Verwaltungsbehörde) ein. Darin sind "Verrichtungen" des Gemeinderates und des Verwaltungsrates beschrieben:

Aufgabengebiet des Gemeinderates:
Unterhalt von öffentlichen Strassen und Plätzen, Organisation der Polizei, Schauspiel- und Lebensmittelkontrolle, Kontrolle des Gastgewerbes, der Märkte, Gewichte und Masse, Feuer- und Seuchenprävention, Organisation der Militärunterkünfte, der Fremdenpolizei und des Bettelwesens, Führung der Bürger-, Geburts-, Ehe- und Sterbebücher sowie Erteilung von Toten-, Heimat-, Vermögens- und anderen Scheinen.

Aufgabengebiet des Verwaltungsrates:
Aufsicht über die Finanzen, die Infrastruktur (Hoch- und Tiefbau), die Waldungen sowie die Kirchen-, Schul- und Armengüter.

Die Trennung von Politischer Gemeinde und Ortsbürgergemeinde

Die völlige Trennung von Politischer Gemeinde und Ortsbürgergemeinde führte die dritte Kantonsverfassung von 1831 durch. Neben der organisatorischen Trennung (zwei Behörden) mussten Teile dessen, was einst das Vermögen der Stadtrepublik ausgemacht hatte, an die eine oder die andere Gemeinde gewiesen werden. Im Herbst 1831 wurde eine "Sönderungskommission" eingesetzt, für die wegleitend war, dass alles an die Politische Gemeinde übergehen sollte, was polizeilichen oder anderen Aufgaben diente, die der Gemeinderat gemäss kantonalem Gesetz erfüllen musste.

1832 hiess die Bürgerschaft den Inhalt der "Ausscheidungsurkunde zwischen der Politischen und der Genossengemeinde der Stadt St.Gallen" gut.

Das Gesetz "Über die Eintheilung des Kantons in Ortsgemeinden" trat am 7. Februar 1833 in Kraft und bestimmte, welches Territorium die Ortsbürgergemeinde St.Gallen umfassen sollte: Altstadt, Kreuzbleiche, St.Leonhard, Nest, Bernegg, Mühlegg, Harfenberg, Linsebühl, St.Jakob, Leimat, Rosenberg. Der Politischen Gemeinde stand fortan der Gemeinderat mit fünfzehn Mitgliedern, der Ortsbürgergemeinde der Verwaltungsrat (seit 1924 Bürgerrat) mit elf Mitgliedern vor.

Über 1832 hinaus trug die Ortsbürgergemeinde u.a. die Fürsorge und Kultur sowie das Kirchen- und Schulwesen. 1848 übernahm die Stadt alle öffentlichen Quellen, Bäche, Brunnen, Weiher, Leitungen und Kanäle. Weitere Erleichterungen folgten, als 1861 das Kirchengut von der evangelischen Kirchengemeinde, das Schulgut 1879 von der städtischen Schulgemeinde übernommen wurde und 1979 schliesslich die Stadtbibliothek (Vadiana) an den Kanton überging und die Museen einer Stiftung - bestehend aus der Politischen Gemeinde, der Ortsbürgergemeinde und dem Kunstverein - übertragen wurden.

Dass die Gewichte einst anders verteilt waren, zeigen noch einige Institutionen der Ortsbürgergemeinde: "Stadthaus", "Stadtsäge" und "Ersparnisanstalt der Stadt St.Gallen".

Siehe auch : kurzgefasste Geschichte der heute den Kanton St.Gallen umfassenden Regionen.

Weitere Informationen/Bilder zum Stadthaus finden Sie im Tagblatt-Artikel "Von der Kapelle zum Stadthaus".


Dieser Artikel von Ernst Ziegler stammt aus der der Broschüre "Die Ortsbürgergemeinde St.Gallen", St.Gallen 1998.
Mit freundlicher Genehmigung durch Herausgeber und Verlag : Frehner Consulting AG, St.Gallen
Konzept und Redaktionsleitung : Stephan Ziegler

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