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Abschied vom traditionellen Familienregister

Der folgende Artikel wird wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus der Ausgabe vom 16./17. Januar 1999 der


Aufbau einer schweizerischen Zivilstandsdatenbank

Im schweizerischen Zivilstandswesen bahnt sich eine Revolution an. Die Zahl der heute rund 2000 Zivilstandskreise soll erheblich reduziert, die Zivilstandsbeamten sollen professionalisiert und die Registerführung soll informatisiert werden. Die entsprechenden Daten sollen zudem landesweit vernetzt und in einer gesamtschweizerischen Zivilstandsdatenbank abgelegt werden. Im Auftrag der Kantone laufen die entsprechenden Vorarbeiten beim Bund auf Hochtouren. Die Aufnahme des Betriebs der Datenbank ist im Jahr 2001 vorgesehen.

rom. Bern, 15. Januar

Der Zivilstandsbeamte, der die wesentlichen Ereignisse des Lebens wie Geburt, Heirat und Tod mit sauberer Handschrift im Familienregister des Heimatorts verewigt, gehört der Vergangenheit an. Nicht staatliche Zentralisierungsgelüste oder internationales Harmonisierungsbestreben haben ihm den Garaus gemacht, sondern der gesellschaftliche Umbruch und die Auflösung des traditionellen Familienmodells. Moderne Lebensformen, grenzüberschreitende Ehen, häufige Scheidungen und nicht zuletzt die Gleichstellung von Frau und Mann lassen sich kaum mehr realitätsgerecht im traditionellen Familienrodel wiedergeben. Ein Problem stellt auch der Informationsaustausch zwischen dem sogenannten Ereignisort, wo beispielsweise eine Geburt, Heirat oder Scheidung stattfindet, und dem Heimatort dar. Müssen Mitteilungen gar an mehrere Bürgerorte versandt werden, wie dies heute die Regel ist, sind Fehler bisweilen nicht zu vermeiden.

Föderalistischer Quantensprung

Eine Reform des Zivilstandsbereichs drängte sich damit auf. Unter der Leitung des Eidgenössischen Amtes für Zivilstandswesen (EAZW) wird gegenwärtig ein Konzept für ein neues Standesregister als Ablösung des heutigen Familienregisters erarbeitet. Das Register soll nicht mehr pro Familie , sondern personenweise und geschlechtsneutral geführt werden. Diese logischere Strukturierung und das intensive Mitteilungswesen unter den Zivilstandsämtern forderten geradewegs zur Informatisierung der Daten und zu einer landesweiten Vernetzung in einer gemeinsamen Zivilstandsdatenbank heraus. Mit dem einstimmigen Segen der Kantone übernahm das Bundesamt für Justiz die Federführung und die Kosten für die Ausarbeitung eines entsprechenden Modells. Voraussichtlich Mitte Jahr wird die Konzeptphase abgeschlossen. Stimmen die Kantone der Realisierung zu, soll die zentrale Datenbank mit ihren Ablegern in den einzelnen Zivilstandsämtern bereits im Jahr 2001 den Betrieb aufnehmen.
Dass die Führung der Zivilstandsregister, seit 1876 eine ausschliessliche Domäne von Kantonen und Gemeinden, nun über ein gesamtschweizerisches System erfolgen soll, wird von EAZW-Chef Martin Jäger als Quantensprung gewertet. Nachdem der Bund im Sinne einer Goodwill-Aktion dabei personelle und finanzielle Anschubhilfe geleistet hat, sollte er nach Ansicht Jägers auch die Federführung behalten, bis das Projekt steht. Für den eigentlichen Betrieb der schweizerischen Zivilstandsdatenbank kämen dann als Trägerschaft sowohl der Bund - im Auftrag der Kantone und mit entsprechender finanzieller Abgeltung - wie auch ein Konkordat in Frage, wobei im Bundeshaus eher die Bundeslösung favorisiert wird.

Einsparung von Millionen

Hinter dem überaus positiven Echo der Kantone zu einer Informatisierung und Zentralisierung der Zivilstandsregister stehen handfeste finanzielle Interessen. Die Schätzungen über mögliche Einsparungen reichen von mindestens zehn bis zu über fünfzig Millionen Franken pro Jahr. Die Kosten für die Entwicklung und Einführung des gesamten Systems werden auf rund 24 Millionen Franken veranschlagt. Heute belaufen sich die jährlichen Aufwendungen für das Zivilstandswesen auf rund 70 Millionen Franken. Ein Grossteil des Aufwands entfällt auf die Weiterleitung und erneute Registrierung bereits einmal registrierter Daten - eine Arbeit, die sich künftig per Mausklick erledigen liesse. Dass im Zivilstandswesen bisher noch kaum automatisiert wurde, liegt an der naturgemäss auf Kontinuität angelegten Datensammlung. Die heutigen Zivilstandsbeurkundungen reichen zum Teil bis über das 19. Jahrhundert zurück, und auch künftig sollen die Angaben über den Personenstand generationenübergreifend erhalten bleiben. Eine ähnliche Zurü
ckhaltung gegenüber der Informatisierung des Zivilstandswesens ist übrigens auch im Ausland zu beobachten. Mit der vorgesehenen zentralen Datenbank wird die Schweiz keineswegs das Schlusslicht in der entsprechenden Modernisierung markieren, sondern vielmehr internationale Pionierarbeit leisten. Der bisherige Verzicht der schweizerischen Zivilstandsämter auf vollständige Informatiklösungen ist für Martin Jäger denn auch die Chance für die Schaffung eines gemeinsamen Systems.
Noch vor kurzem hätte niemand gewagt, auch nur an eine solch landesweite Vernetzung zu denken, die an die bisherigen Kompetenzgrenzen stösst. Das Parlament wird sich deshalb wohl schon bald mit einer neuerlichen Teilrevision des Zivilgesetzbuches (ZGB) befassen müssen, die die rechtliche Grundlage für die schweizerische Zivilstandsdatenbank bilden soll. Die letzte ZGB-Revision war vor gerade einem halben Jahr verabschiedet worden. Im Schatten des neuen Scheidungsrechts wurde damals auch einer Professionalisierung des Zivilstandswesens zugestimmt. Konkret geht es um eine Zusammenlegung kleinerer Zivilstandskreise und einen minimalen Beschäftigungsgrad (mindestens 40 Prozent) der häufig nebenamtlichen Zivilstandsbeamten.
Nicht überall stossen die Rationalisierungspläne allerdings auf so viel Freude wie bei den Kantonen. Sigisbert Lutz vom Schweizerischen Gemeindeverband spricht von gewissen Bedenken in Randregionen, wo man von der Zentralisierung des Zivilstandswesens einen Substanz- und Identitätsverlust befürchtet. Dass aber eine Professionalisierung gerade mit Blick auf die Internationalisierung der Eheschliessungen unumgänglich geworden ist, wird auch in diesen Kreisen anerkannt. Für EAZW-Chef Jäger birgt die Rationalisierung sogar eine Aufwertung der Tätigkeit der Zivilstandsbeamten, da sich das Zivilstandswesen nicht in der blossen Registerführung erschöpfe: «Beratung, etwa über die Möglichkeiten der Namenswahl, wird immer wichtiger. Und die Leute wollen auch wissen, wo man noch heiraten kann - ausser in Las Vegas!»


Einführung (Familienschein) | Introduction (Familienschein)


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